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Was ist Gott?

von Swami Rama
aus: Enlightenment Without God
Himalayan International Institute of Yoga Science and Philosophy, USA

Alle Religionen der Welt versprechen ihren Anhängern eine Vision von Gott, geistigen Frieden, Erlösung und viele andere Verheißungen, doch bisher hat sich davon noch nichts erfüllt. Je mehr man sich auf konfessionelle Aktivitäten einlässt, desto wahrscheinlicher ist es, dass man mit seinen Erwartungen an Gott und Religion enttäuscht und frustriert wird.

Viele Religionsvertreter behaupten, dass Gläubige Erlösung finden, wenn sie ihren Belehrungen blind folgen. Doch häufig sind sie nach der Rückkehr aus Kirche oder Tempel noch mehr gestresst, frustriert und besorgt als Nichtgläubige. Allein der Glaube an Gott kann Menschen, die die höchste Wahrheit suchen, nicht zufrieden stellen.

Nehmen wir an, ein Mensch glaubt an die Existenz Gottes, ist jedoch weder emotional gereift noch besitzt er einen ruhigen Geist. Ein solcher Mensch besitzt keinen inneren Frieden und Gleichmut - sie sind nötige Voraussetzungen für Erleuchtung. Auf diesem Weg der Erleuchtung ist es zwar notwendig, Sinne und Geist zu beherrschen, doch es ist nicht notwendig, an Gott zu glauben.

Erleuchtung ist ein Zustand des Freiseins von der leidverursachenden Unwissenheit. Dies zu erreichen, ist das Hauptziel jedes menschlichen Lebens. Es ist nicht notwendig, an Gott zu glauben, doch ein fundiertes Wissen von der Wahrheit, die hinter dem Begriff 'Gott' liegt, ist notwendig.

Das Wort GOTT ist nicht Gott. Religiöse Eiferer, die ihre eigenen begrenzten Vorstellungen über die Wahrheit stülpen und es dann Gott nennen, leiden mehr als Menschen, die nicht an das Konzept von Gott glauben. Bezeichnet man dagegen die Absolute Wahrheit als 'Gott', dann gibt es keine Probleme. Denn dann kann es geistig, im Handeln und Sprechen umgesetzt und gelebt werden. Vollständige Weisheit entsteht, sobald die Wahrheit den Geist, das Handeln und die Sprache durchdringt. Den Fantasien religiöser Eiferer Glauben zu schenken, begrenzt den menschlichen Intellekt und erzeugt eine Atmosphäre, unter der ihre geplagten Anhänger bis zum Ende ihres Lebens leiden werden.

Wer an Gott glaubt, ohne zu verstehen, was Gott wirklich ist, verschließt für sich den Zugang zu erweiterter Erkenntnis und kann die inneren Dimensionen des Lebens nicht erfahren.

Religiöses Dogma lockt den menschlichen Geist mit dem Versprechen göttlicher Visionen, doch die Vorstellung von Gott wird nicht klar definiert. Das Bild Gottes, das in religiösen Büchern präsentiert wird, schadet der menschlichen Entwicklung. Denn wer an Gott glaubt, ohne zu verstehen, was Gott wirklich ist, verschließt für sich den Zugang zu erweiterter Erkenntnis und kann die inneren Dimensionen des Lebens nicht erfahren.

Von derartigen falschen Versprechungen wird in den Upanishaden abgeraten. Sie mahnen, 'Neti, neti - nicht dies, nicht jenes'. Dem Schüler wird verdeutlicht, dass er zuerst die Wirklichkeit verstehen muss und wird ermuntert, in sich selbst die Wahrheit zu suchen. Man soll zuerst sich selbst kennen, um dann das Selbst von Allem erkennen zu können. Die Texte der Upanishaden machen deutlich, dass jedes verkörperte Wesen ein sich bewegender Tempel des höchsten Bewusstseins ist. Sie vermitteln auch die Methoden, um in diesen inneren Tempel einzutreten, in dem das ewige Licht der Weisheit, des Friedens und der Seligkeit strahlt.

Verfechter der Religion nutzen Gebet als eine für sie wichtige Technik, um dadurch ihre Bedürfnisse zu befriedigen und trotz all ihrer Frustrationen Trost zu finden. Viele Menschen, die mit den Grundprinzipien der vedantischen Philosophie nicht vertraut sind, sind der Meinung, dass es auch in den Upanishaden Gebete gibt. Beispielsweise:

'Vom Unwirklichen führe mich zum Wirklichen; aus der Dunkelheit führe mich zum Licht; vom Sterblichen führe mich in die Unsterblichkeit' - dies könnte man als Gebet betrachten. Doch tatsächlich ist es ein Ausdruck der spirituellen Sehnsucht des Aspiranten, das ihn beständig an sein Lebensziel erinnert.

Es ist kein Gebet, sondern eine Methode, sich fortwährend des höchsten Bewusstseins gewahr zu bleiben. Es ist keine Bitte um Hilfe oder Führung gerichtet an einen Gott oder an ein übernatürliches Wesen, um dadurch höhere Zustände zu erlangen. Es geht hier nicht darum, Gott als etwas von mir Getrenntes zu erfahren, vielmehr will man die eigene Seinsnatur, die das 'Selbst von Allem' ist, erkennen. Man kann nichts erlangen, das nicht schon da ist; vielmehr ist man das, was aus sich selbst heraus existiert. Es geht darum, das beständige Gewahrseins des Höchsten Bewusstseins zu bestärken - das ist das Ziel der Upanishaden.

Die anfängliche Erfahrung eines kontemplativen Geistes ist Dualismus. Alle Religionen leiden an dualistischen Konzepten wie beispielsweise:
'Menschliche Wesen sind eine Schöpfung Gottes',
'Das Universum ist von Gott erschaffen',
'Menschliche Wesen sollten in ihrem Leiden auf die Gnade Gottes hoffen'.

Analysiert man diese Aussagen mit klarem Geist und Verstand, wird deutlich, wie unlogisch diese Vorstellungen sind.

Die Erfahrung eines Schülers am Anfang seines Studiums ist Dualität: die Erfahrung, dass er existiert und auch das 'höchste Bewusstsein' existiert. Später entsteht die Erfahrung 'Dies bist Du'. Diese beiden Erfahrungsbereiche sind scheinbar getrennt, doch im Grunde sind sie ein und dasselbe. Es sind aufeinander folgende Zustände in der Erfahrung, doch soweit des die Höchste Wirklichkeit betrifft, gibt es nur 'Das Eine ohne ein Zweites'.

Gott ist kein Wesen auf einem Podest jenseits von Sonne, Mond und Sternen.
Gott ist der Zustand der Höchsten Wirklichkeit.

Vertreter der Religion sagen, Gott zu erkennen sei das letztendliche Ziel des Lebens. Materialisten sagen, es geht um Essen, Trinken und Glücklichsein. Doch die Philosophie der Upanishaden versichert, dass im Freisein von allem Schmerz und Kummer das letztendliche Ziel liegt. Dieser Zustand des Freiseins von Ängsten, Kummer und Unwissenheit wird Erleuchtung genannt. Es ist die Einheit des individuellen und universellen Bewusstseins.

Religiöse Eiferer behaupten, man muss an die Schriften und an ihre Interpretationen glauben. In der upanishadischen Philosophie wird der Geist von allen religiösen Vorurteilen befreit, damit er frei und logisch denken kann.

In manchen Upanishaden taucht der Begriff Isha oder Ishvara auf, was annähernd mit 'Gott' übersetzt wird. Doch das Konzept 'Gott', wie es in Religionen gelehrt wird, findet sich in den Upanishaden nicht. Hier wird das Wort Ishvara als Bezeichnung für das kollektive Bewusstsein verwendet.

Gott ist also kein Wesen auf einem Podest jenseits von Sonne, Mond und Sternen. Gott ist der Zustand der Höchsten Wirklichkeit. Aus Mangel an direkter Erfahrung wurde Gott durch die Zeitalter hindurch personifiziert und mit verschiedenen Namen und Formen versehen.

Dehnt man sein individuelles Bewusstsein in das universelle Bewusstsein hinein aus, wird dies als Selbstverwirklichung bezeichnet. Denn das individuelle Selbst hat die Einheit in der Vielheit realisiert, das allen Formen und Namen zugrunde liegende Prinzip, das 'universelle Selbst'.

Die großen Weisen der Upanishaden umgehen die Verwirrungen, die in Bezug auf Gott entstehen; sie ermutigen die Studierenden, in ihrer Suche nach Selbstverwirklichung aufrichtig und offen zu sein. Die Philosophie der Upanishaden stellt verschiedene Methoden zur Verfügung, die höheren Ebenen der Wahrheit zu entfalten und hilft den Studierenden dabei, die Mysterien des Individuellen und des Universellen zu enträtseln.

Die direkte Erfahrung des höchsten Bewusstseins ist der Leitfaden in der gesamten upanishadischen Literatur: 'Ich bin Brahman; dieses gesamte Universum ist Brahman; Dies bist Du' - diese Aussagen bilden das Fundament aller Theorien, Prinzipien und Praktiken.

All die philosophischen und psychologischen Diskussionen dienen dazu, in den Studierenden die 'wahre Natur', Brahman, wachzurufen. Ein verwirklichtes Wesen erkennt im gesamten Universum nichts als unendliche Freude. Für Unwissende existiert nur Kummer und Sorge.

Ein religiöser Eiferer kennt Gott nicht, und trotzdem glaubt er an Gott.
Eine verwirklichte Person erkennt zuerst die Wahrheit, und erst dann glaubt sie.

Sobald man seine wahre Natur realisiert, löst sich die Dunkelheit der Unwissenheit auf. Vorher jedoch wandert das Individuum durch das selbsterzeugte Elend und entwickelt so die Vorstellung, dass überall nur Elend und Not herrschen. In Wahrheit ist dieses Universum eine großes Ode der Freude, ein einzigartiges Kunstwerk. Sobald man seine volle menschliche Kapazität und Fähigkeit erkennt, erfährt man: 'Du bist Das - Brahman'.

Hierin liegt der Unterschied zwischen einer selbstverwirklichten Person und einem Verfechter der Religion. Ein religiöser Eiferer kennt Gott nicht, und trotzdem glaubt er an Gott. Eine verwirklichte Person ist sich direkt der selbstexistenten absoluten Realität des Lebens und des Universums bewusst. Sie erkennt zuerst die Wahrheit und erst dann glaubt sie. Wenn Gott die letztendliche Wahrheit ist, verborgen hinter vielen Formen und Namen, dann sollte sie auch verwirklicht werden. Um die Wahrheit in Geist, Handeln und Sprechen zu verwirklichen, muss man praktizieren, nicht heucheln und fanatische Ansichten vertreten.

Für das Erlangen von Selbsterkenntnis ist es unnötig, an Gott zu glauben. Doch es ist notwendig, die verschiedenen Ebenen des Bewusstseins zu kennen, um schließlich den höchsten Ursprung zu verwirklichen.

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